Gesund bist du frei

Das was viele von uns als selbstverständlich ansehen, ist etwas sehr Fragiles: Gesund sein.

Solange wir keine Beschwerden, Weh-Wehchen oder Schmerzen spüren, glauben wir gerne, dass wir doch kerngesund sind und „…das uns das ja alles sowieso nie trifft.“

Gesund sein bedeutet Freiheit

Nur durch eine gute körperliche und geistige Verfassung sind wir in der Lage, unser Leben aktiv zu gestalten, Sport zu treiben, zu lachen, Freunde zu treffen, ins Kino zu gehen, zu tanzen und Spaß zu haben.
Hast du jedoch ein gesundheitliches Handicap schränkt dich dies je nach Schwere in deinem freiheitlichen Leben ein.

Vor 3 Tagen hatte ich einen Anruf meiner Tante auf dem Telefon. Ich hatte es erst deutlich später gesehen.
Schon wenn ich auf mein Telefon blicke und sehe, dass sie angerufen hat, erstarre ich innerlich immer ein wenig. Denn es bedeutet meistens, dass es etwas wegen meines Vaters zu besprechen gibt.
Mein Vater und ich haben schon immer ein spezielles, kompliziertes und eher ungesundes Verhältnis zueinander. Ein harter Ton, Vorwürfe und gefühlte Minderwertigkeit begleiteten mich ständig.
Wertschätzung für das, was ich bin und Akzeptanz meiner eigener Meinung habe ich von ihm äußerst selten gespürt.
Menschlich hatten wir uns in den letzten Monaten stark auseinander entwickelt. Jedes Mal, wenn wir uns getroffen haben, gab es Streit. Für mich hatte sich in den letzten Jahren herausgebildet, dass ich mich stets ihm gegenüber verpflichtet und verantwortlich gefühlt habe. Persönlich ging es mir schon länger nicht mehr gut damit. Wenn ich mich dann zurückzog, spürte ich sehr schnell eine Art Schuldigkeit.
Die Schuldigkeit emotionaler Abhängigkeit.

Darf ich das jetzt ?

Darf ich mich aus Selbstschutz zurückziehen ?
Mein Gewissen und mein loyales Herz haben dann immer gegen meinen Verstand und Bauchgefühl gearbeitet.
Mit der Zeit fühlte ich mich nur noch erschöpft und brauchte Distanz.

Ich rief meine Tante zurück und sie war ganz leise. Sie sagte mir, dass sie spontan bei meinem Vater vorbeigefahren wäre, um Ihm ein paar Getränke zu bringen. Im Gespräch mit ihm wäre er plötzlich einfach in sich zusammengesunken. Mit der Hilfe eines Nachbarn hat sie den Notarzt gerufen. Seine Worte, bevor sich der Krankenwagen in Gang setzte waren noch, dass er mit allen Frieden schließen möchte.
Im Krankenhaus rief ich ebenfalls in der Notaufnahme an und ließ mich darüber informieren, dass er nun erst einmal stabilisiert werden muss. Seine Herzschwäche wäre der Einweisungsgrund.
Ich stand unter einem dumpfen Schock aus Besorgnis und Überraschung, meine Stimme war dünn und zittrig.
Hundert rasende Gedanken stolperten durch meinen Kopf.

Was, wenn er die Nacht nicht überleben würde ?

Verstört und allein wühlte ich mich in mein Kopfkissen und wollte nur noch, dass die Welt ganz leise ist…
Der nächste Tag begann unter einem Schleier aus bleierner Müdigkeit. Ich hatte organisieren können, dass meine Mutter meinen Sohn aus dem Kindergarten abholt und mein Hund am Nachmittag versorgt ist, sodass ich meinen Vater am Nachmittag besuchen konnte. Erstmal fuhr ich auf Arbeit und sah, dass ich schon eine Nachricht auf dem Telefon hatte: mein Vater. Es ging ihm den Umständen entsprechend gut.

Was waren die Umstände ?

Wir telefonierten in meiner Mittagspause und eine Herzkathederuntersuchung stand an. Eine Stunde später schrieb er, dass es ein Herzinfarkt gewesen sei.
Ungläubige Starre durchfuhr meinen Körper. Einige Stunden später saß ich im Wartezimmer der Intensivstation und irgendwie fühlte ich nur, wie die Hülle meines Körpers da saß. Stumm blinzelte ich den warmen Sonnenstrahlen entgegen, die in das grasgrün gestrichene Wartezimmer durch wehende Gardinen fielen.
Ich hatte allein im letzten Jahr mehrfach die Intensivstation wegen meines Vaters aufsuchen müssen – es fühlte sich an wie gewohnte Ironie des Schicksals.

Nach langer Wartezeit wurde ich zu meinem Vater ans Bett geführt. In seinem Zimmer lagen noch zwei andere, völlig verkabelte und reglose Personen.
Mitgefühl breitet sich wellenartig in mir aus. Ich drückte meine Wange an die Wange meines Vates, der blass und dennoch orientiert in seinem Bett lag.
Er hatte sich gewünscht, dass ich ihm Saft mitbringe, Multivitaminsaft. Ich füllte ihm was in seinen Schnabelbecher, der all das hier wieder ganz dramatisch wirken ließ.

Wir redeten über den Vorabend, an dem der Zusammenbruch war. Er wirkte gefasst und beieinander, war gut über seinen Zustand informiert.
Ich hatte zusätzlich noch das Gespräch mit einer Ärztin erbeten. Sie kam schnell und brachte uns auf Stand:
Er hatte tatsächlich einen Herzinfarkt aufgrund eines verschlossenen Herzkrangefäßes, welches mit einem Stent versorgt wurde. Optimistisch klang sie und freundlich.
Er würde wahrscheinlich morgen schon verlegt werden können und dann noch eine Woche weiterbehandelt. Danach könnte eine Rehabilitationsmaßnahme beantragt werden.
Innerlich schwappte eine klitzekleine Welle der Erleichterung über mich.

Die Lebensgeister kehrten langsam zurück

Mein Vater scherzte sogar schon wieder mit einem Pfleger. Irgendwie wirkte das seltsam und dennoch ließ es mich kurz lächeln.
Ich sagte ihm, dass er dankbar sein könne und das wusste er tief in seinem Inneren auch.

Wie nun alles weitergeht, weiß ich nicht.
Was mich erwartet, weiß ich auch nicht.
Er ist schwerkrank und überhaupt nicht mehr frei, braucht bei allem Hilfe und Unterstützung.
Und ich weiß nicht mal, wie das zu leisten sein kann und ob ich es kann.

Gesund sein ist wertvoll

Es ist einfach nicht selbstverständlich, denn jeden Tag kann uns oder einem Menschen, der zu unserer Familie gehört, der uns nahe steht, etwas passieren, was diesen Zustand verändert.
Gesund sein ist zu fragil, um es als grundsätzliches Privileg anzusehen.

Behandle sie doch auch so.

ICH FREUE MICH ÜBER DEINEN KOMMENTAR, DEINE ANREGUNGEN, DEINE GEDANKEN

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